Das social Distel-Ding – Freizeit ist unbezahlbar

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Teil 37 der Kolumne aus dem social distancing - Die Lehre aus dem Home-Office: Unsere Freizeit und Care-Arbeit ist unbezahlbar.
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05:50 min, 13 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Mono (44100 kHz)
Upload vom 27.05.2020 / 15:24

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Wirtschaft/Soziales, Arbeitswelt
Serie: Das social Distel-Ding
Entstehung

AutorInnen: Fabian Ekstedt
Radio: LoraMuc, München im www
Produktionsdatum: 27.05.2020
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Entschuldigung, ich habe gerade etwas zu tun! Ich mache Hausarbeit! Ich kümmere mich um meine Kinder! Ich pflege meine Lieben! Ich kann gerade nicht! - Das sind die Sätze die wir nach 10 Wochen social distancing und Home-Office in die Zeit danach mitnehmen sollten.
Und damit auch die Erkenntnis, dass Pflege, Erziehung und Haushalt sich eben nicht von alleine machen und nur nebenher laufen müssen. Die Erkenntnis, dass wir, wenn wir schon nicht dafür bezahlt werden alles am laufen zu halten, uns nicht auch noch in dieser eigentlichen „Freizeit“ zerreißen müssen. Die Erkenntnis, dass Care-Work, das sich kümmern um sich selbst und das eigene Umfeld, eben Arbeit ist, die mindestens genauso ernst genommen werden sollte wie die Erwerbsarbeit.
Denn Freizeit sieht eben nicht so aus, dass Mensch nur den Laptop zuklappt oder das Werkzeug zur Seite legt und dann nichts mehr zu tun hat. Feierabend ist eben nicht nur Bier trinken und Schlafen gehen.
Stattdessen muss noch eingekauft, die Wäsche gewaschen, abgespült, geputzt und die Post durchgegangen werden. Und all diese Aufgaben fallen schon an, wenn es um einen Single-Haushalt geht. Ihr Umfang steigt exponentiell, wenn Kinder da sind, Großeltern, Eltern oder andere Angehörige gepflegt werden müssen. Zusätzlich zum Haushalt kommen in der Zusammenarbeit mit anderen Menschen auch noch psychische Aufgaben hinzu. Es brauch Empathie und Ansprache.
All das könnten die Kolleg*innen und Chef*innen eigentlich wissen, auch wenn sie vermutlich in einer ganz anderen Situation sind, wenn sie das Telefon zur Hand nehmen und einem eine weitere dringende Mitteilung machen möchten, die umgehend behandelt werden muss. Eigentlich müsste es jeder und jedem klar sein, dass Freizeit keine tote Zeit ist, die nur darauf wartet mit Arbeit wiederbelebt zu werden.
Es ist schon seltsam, dass die Arbeit, die Mensch sich ja theoretisch selbst auswählen kann, die dem Geldverdienst und in gewisser Weise auch der Selbstverwirklichung bzw. Selbstbestätigung dient, häufiger Vorrang hat, vor den Dingen die wir wirklich müssen.
Schließlich bedeutet erkaufte Arbeitszeit, dass auch jemand anderes für diesen Job bezahlt werden könnte, vor allem wenn es scheinbar nicht ohne Überstunden und ausreichende Ruhezeiten geht.
Care-Work wird hingegen zwar nicht bezahlt, kann aber schlecht von anderen Menschen übernommen werden. Auch wenn Au pairs und ambulante Pflegedienste eine nicht zu unterschätzende Hilfe sind, im menschlichen Miteinander zählt die Zeit die Mensch schon gemeinsam verbracht, zusammen erlebt hat. Der Job von Müttern und Vätern kann nicht einfach ausgeschrieben und nach einer kurzen Einarbeitungszeit von einer anderen Person gleichwertig ausgefüllt werden. Anrufe bei den Eltern und Großeltern erzielen nicht die gleichen Effekte, wenn sie von einem Callcenter am anderen Ende der Welt übernommen werden. Freundschaften können nicht wie ein Abonnement auf sozialen Austausch weiterlaufen, auch wenn man keine Zeit hat sich näher damit zu beschäftigen. Liebesbeziehungen sind keine Serviceverträge bei denen auf Zuruf eine Technikerin oder ein Techniker für körperlichen und emotionalen Support vorbei kommt.
All diese Tätigkeiten sind also betriebswirtschaftlich nicht zu fassen. Eine Familie zu haben und sich um sie zu kümmern ist eben nicht das Gleiche wie das Führen eines Familienbetriebs. Dienstleistungen können nicht zugekauft und von jedem gleichwertig erbracht werden.
Jeder von uns ist im persönlichen Zusammenhang unersetzbar. Unsere „Freizeit“ ist demnach unbezahlbar. Diesen Punkt sollten wir uns dringend vor Augen führen, wenn jetzt wieder von Arbeitszeitverlängerung gesprochen wird. Natürlich lieben viele Menschen ihre Jobs. Aber wenn sie im Job kaputt gehen, werden sie einfach ohne größere Probleme ausgetauscht.
Im „Freizeit-Leben“ kann das nicht so gehen. Dort ist dann die kaputte Person die Tochter, die Mutter, die Freundin und die Partnerin. Oder eben der Sohn, der Vater, der Freund und der Partner. Im Job sind sie bald vergessen, in der Familie und im Freundeskreis sind sie über die nächsten Jahre die Sorgenkinder. Und weil sie dort nicht alleine sind, bedeutet das, dass ihr soziales Umfeld sich um sie kümmert und Freizeit für die Pflege einsetzt. Dieses sich Kümmern ist unbezahlbar. Nicht nur, weil wir unersetzbar sind, sondern auch, weil alles Geld der Volkswirtschaft nicht reichen würde um die dafür aufgebrachte Arbeitszeit zu entgelten.
Dabei sind auch die Effekte unbezahlbar: Bildung, emotionale Stabilität und körperliche Unversehrtheit könnten alleine durch den Sozialstaat niemals ausreichend erbracht werden. Gerade in so psychisch belastenden Zeiten wie wir sie aktuell erleben, ist ein freundlicher Anruf heute beinahe mehr Wert als eine Stunde bei einer ausgebildeten Psychologin.
Diesen Wert sollten wir unserer Freizeit auch beimessen. Ja, es kommen wirtschaftlich anstrengende Zeiten auf uns zu. Ja, viel Arbeit ist in letzter Zeit liegen geblieben. Ja, die Arbeit ist wichtig und wir wollen sie behalten.
Aber nein, die Antwort auf diesen Druck darf nicht die Selbstausbeutung für den Job sein. Nein, Überstunden sind keine Alternative zu Neueinstellungen. Nein, ich kann jetzt nicht, ich werde in meinem Umfeld gebraucht.
Wenn wir uns in diesem Punkt behaupten, können wir vielleicht auch einige unser Zivilisationskrankheiten wie Burnouts und Depressionen frühzeitig aufhalten. Können die gerade so geforderten Krankenkassen entlasten und dafür sorgen, dass der Krise nicht ein gesellschaftliches Trauma folgt. Die Folgekosten der Krise sind eben nicht nur wirtschaftliche, sondern auch persönliche. Wir werden gebraucht.

Kommentare
29.05.2020 / 17:27 Monika, bermuda.funk - Freies Radio Rhein-Neckar
in sonar
am 29.5.. Vielen Dank!