Das social Distel-Ding – Von klarer Luft die uns den Mist sehen lässt

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Teil 12 der social distancing Kolumne - Balkone als Statussymbol, plötzlich weniger Luftverschmutzung und dicke Luft in Sachsen-Anhalt (verbesserte Version)
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04:36 min, 11 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 10.04.2020 / 17:03

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Wirtschaft/Soziales, Internationales, Umwelt, Politik/Info
Serie: Das social Distel-Ding
Entstehung

AutorInnen: Fabian Ekstedt
Radio: LoraMuc, München im www
Produktionsdatum: 09.04.2020
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Balkone und Gärten sind das neue Statussymbol in Zeiten von kollektivem scoial distancing. Einfach nur die Tür aufmachen und auf dem eigenen Privatgrund einen kleinen Teil der Natur genießen. Ohne Angst haben zu müssen, dass gleich jemand einem zu nahe kommt, oder die Polizei einen vertreibt. Klar benachteiligt sind diejenigen, die jetzt in kleinen Wohnungen ohne Zugang zu einem kleinen Fleckchen Wohnraum ohne vier Wände und Dach verbleiben müssen. So fällt einem nur noch schneller die Decke auf den Kopf. Damit ist dann auch recht schnell klar gemacht, dass das Virus zwar ein großer Gleichmacher ist, weil es alle bedroht und beängstigt, aber Klassenunterschiede gerade auf dem Wohnungsmarkt nur noch verstärkt wahrgenommen werden.
Allerdings bemerken wir auch, dass ein öffentliches Gut, von dem zumindest in der Theorie jeder gleich viel haben sollte, sich gerade wieder erholt: Saubere Luft!
Ganz egal wo die social Distel-Dinger wohnen, die Luft ist sauberer geworden. Selbst an vielbefahrenen Straßen wie dem Mittleren Ring in München, kann Mensch aktuell fast wieder beruhigt die Nase in den Wind halten.
Der Feinstaub ist weniger geworden, Stickstoffdioxid ist weniger geworden, selbst bei der aktuell starken Sonneneinstrahlung wird auch weniger Ozon gebildet. Was das bewirkt ist in vielen deutschen Städten vielleicht nicht so offensichtlich, aber hier lohnt sich ein Blick ins Ausland. Bilder von Neu-Delhi, Los Angeles oder Peking zeigen deutlich, wie sehr die menschliche Betriebsamkeit den Himmel verdunkelt hat. Das hat auch Auswirkungen auf die Weitsicht. In Punjab, einer nördlichen Provinz Indiens, können die dort ansässigen social Distel-Dinger zum ersten Mal seit gut 30 Jahren wieder die ca. 200 Kilometer entfernten Gipfel des Himalaya-Gebirges erblicken.
Während die Bilder einen faszinieren, erinnert Mensch sich vielleicht daran, dass wir vor nicht allzu langer Zeit darüber gesprochen haben, dass die Feinstaubbelastung Menschenleben kostet. Eigentlich hätten die Zahlen über die Schwere der Covid-19 Erkrankungen das Zeug dazu dieser Debatte wieder neuen Schwung zu verleihen. Schließlich haben sich schon einige Wissenschaftler zu Wort gemeldet, die vermehrte Covid-19-Todesfälle in Regionen mit starker Luftverschmutzung festgestellt haben wollen.
Das ist vor allem deswegen interessant, weil in der aktuellen Debatte scheinbar nur Covid-19 Tote zu vermeiden sind. Dass im Jahr 2012 laut der Europäischen Umweltagentur in den 28 EU-Staaten ca. 403 000 Todesfälle auf Feinstaub, 16 000 Todesfälle auf Ozon und 72 000 Todesfälle auf Stickstoffdioxid zurückzuführen waren, war und ist bis heute nicht wirklich als drängendes Problem anerkannt. Die Wirtschaft zu drosseln um diese ca. 491.000‬ Menschenleben zu retten, erscheint bisher noch eine abenteuerliche Forderung zu sein. Das mag eventuell daran liegen, dass der Tod in Folge von Luftverschmutzung zumeist nicht alle trifft, sondern bevorzugt jene, die sich einen Platz an der frischen Luft nicht leisten können.
Aber wenn wir schon über dicke Luft sprechen, die gibt es trotz des gemeinsamen Kampfes gegen Corona auch wieder in der Politik. Über der Kenia-Koalition in Sachsen-Anhalt haben sich dicke Wolken aufgetürmt, weil der dortige CDU-Vorsitzende und langjährige Innenminister Holger Stahlknecht sein Veto gegen die Aufnahme von Flüchtlingskindern von den Griechischen Inseln eingelegt hat. Er hält die Forderung bei der Lösung der katastrophalen Situation in Moria und auf den anderen griechischen Inseln zu helfen, für absolut unangemessen. Statt die Katastrophe an der europäischen Grenze zu verhindern, sieht er die Aufgabe der Regierung darin „das tägliche Ansteigen der Covid-19-Zahlen zu verlangsamen und unsere Bevölkerung zu schützen.“
Wer gedacht hat, dass die Menschheit im Angesicht einer gemeinsamen Bedrohung solidarisch agiert, wird hier von einem „Christ-Demokraten“ eines besseren belehrt. Aber eigentlich hätte dafür auch ein Blick auf den aktuellen Zustand der europäischen Union gereicht.
Der Himmel wird so klar, dass wir den ganzen Mist deutlich sehen können. Kein Wunder, dass wir davon ausgehen müssen, dass viele social Distel-Dinger als Alkoholiker*innen aus dem social distancing zurückkommen werden. Prost!

Kommentare
11.04.2020 / 01:08 Fabian Ekstedt, LORA München
Verbesserte Version
Sachsen-Anhalt ist wieder Sachsen-Anhalt und nicht Niedersachsen