Antirassistische Gegenwehr in Berlin-Hellersdorf

ID 58080
 
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Seit einigen Tagen kommt es in Berlin-Hellersdorf zu rassistschen Provokationen gegen Flüchtlinge. Es folgt ein Bericht mit O-Tönen über antirassistische Gegenwehr vom Dienstag, den 20. August 2013.

Wir bitten die in manchen Passagen schlechte Tonqualität zu entschuldigen.
Audio
07:41 min, 11 MB, mp3
mp3, 192 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 21.08.2013 / 17:42

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Klassifizierung

Beitragsart: Gebauter Beitrag
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info
Serie: Antirassismus
Entstehung

AutorInnen:
Radio: Radio Aktiv Berlin, Berlin im www
Produktionsdatum: 21.08.2013
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript

Derzeit gefällt es bundesdeutschen Politikern und Medien wieder häufiger, angebliche Probleme im Zusammenhang mit Flüchtlingen zu konstruieren. Gerade in Wahlkampfzeiten scheint das herbei reden vermeintlicher äußerer Gefahren eine willkommene Ablenkung von eigenen Unzulänglichkeiten darzustellen.

Obwohl die BRD - eines der reichsten Länder der Erde - gerade mal 5000 von insgesant 6 Millionen Flüchtlingen aus Syrien aufnimmt, versuchen verschiedene - nicht nur in der CDU -
damit rassistische Stimmungsmache zu betreiben.

Unbeachtet bleibt in der öffentlichen Debatte dabei häufig, dass z.B. die Türkei bereits über 2 Millionen oder der kleine Libanon ca. 1,6 Millionen Flüchtlinge aufgenommen haben.

Als ob Innenminister Friedrich es bestellt hätte, überstürzen sich inzwischen die Steigbügelhalter von NPD und Pro D in rassistischen Mobilisierungen, die sie mit einem neu eingerichteten Flüchtlinhsheim in Berlin-Hellersdorf verknüpfen.

Seit einigen Wochen ist das Heim in der Carola-Neher-Str. unweit der U-Bahnstation Cottbusser Platz auf der Linie 5 im Fokus der Rassisten. Obwohl die ersten Geflüchteten erst am Montag dieser Woche einzogen, wußte eine anonyme Bürgerinitiative bereits Wochen vorher von Kriminalität, Angst und Schrecken zu berichten. Auffällig an dem hauptsächlich über soziale Netzwerke geführten Diskurs ist eine uninformierte, teils recht diffuse Stimmung, die aus Angst vor eigener Armut und fehlender Teilhabe verlangt, Flüchtlinge zu diffamieren. Während also eine Wut über Hartz 4, Arbeitslosigkeit und fehlende Perspektiven im Neubau Ghetto Mahrzahn-Hellersdorf durchaus zu existieren scheint, sind die Stimmen derjenigen im Bezirk, die sich gegen Rassismus aussprechen, derzeit noch nicht so laut zu hören.

Allerdings gibt es Zeichen, dass sich das ändern könnte. Seit dem Einzug der ersten Geflüchteten am vergangenen Montag campiert vor der Tür eine anti-rassistische Mahnwache. Am Dienstag hatte die faschistische NPD angekündigt, genau dort zu demonstrieren. Ca. 600 Berliner*innen folgtem einen Aufruf, dies zu verhindern.

Dabei stellte sich schnell heraus, dass die NPD kniff.

Audio: Ansage von der Mahnwache über veränderten Standort der Nazis

Mit großer Geschwindigkeit setzte sich die Menge in Bewegung und versuchte, zum Alice-Salomon-Platz zu gelangen. Die Berliner Polizei versuchte das vom ersten Augenblick an zu verhindern. Sie sperrte eine U-Bahn Unterführung am Cottbusser Platz und zwang die Demonstrant*innen zu einem kleinen Umweg.

Nach ca. 20 Minuten fanden sich dann jedoch rund 400 Antifaschist*innen vor dem Hellersdorfer Rathaus am Alice-Salomon-Platz ein und trauten ihren Augen kaum. Gerade mal 23 NPD-Mitglieder standen dort um einen blauen Kleinbus und schwiegen. Offensichtlich war ihre mitberachte Ton Anlage kaputt oder sie fühlten sich nicht in der Lage, irgend etwas kundzugeben. 2 Pappschilder und eher unverständliches Transparent mit Schüttelreimen vervollständigten das Bild dieser Truppe, die hinter einem Polizei-Kordon am äußeren Rand des Platzes ausharrte. In der folgenden Stunde fanden immer mehr Menschen den Weg an diesen Ort, obwohl die Polizei sogar den auf der unterbrochenen U5 fahrenden Schienenersatzverkehr stoppte. Nach ca. 2 Stunden versuchten die Nazis dann doch eine Rede zu halten, was jedoch im wütenden Lärm der Gegendemonstrant*innen unterging.

Audio: Pfeifkonzert

So klingt es also, wenn die NPD in diesen Tagen in Berlin versucht, öffentlich zu hetzen.

Langsam kamen auch interessierte Anwohner*innen dazu und beteiligten sich an dem Protest gegen die Nazis. Meine Bitten um Statements oder Interviews wurden aus Angst vor möglichem Wiedererkennen jedoch abgelehnt. Ein Anwohner berichtete mir von vielen jüngeren Nazis, die tagtäglich am Alice-Salomon-Platz und in der Gegend verkehren. Er sagte, dass diese Nazis selbst über die NPD lachen und sehr zu Gewalt neigten. In den späteren Abendstunde waren durchaus kleinere Gruppen von optisch rechts-orietierten, biertrinkenden Männern zu sehen, die sich in einiger Distanz zum Geschehen aufhielten. Ob es sich dabei jdeoch wirklich durchweg um Nazis gehandelt hat, blieb unklar. Angesprochen reagierten einige sehr amüsiert über das klägliche Auftreten der NPD, schienen aber ansonsten keine Meinung zu den Vorgängen zu haben.



Die Polizei versuchte nach ca. 3 Stunden, die offensichtliche Einkesselung der NPD durch Antifaschist*innen zu beenden und die Nazis aus dem Gebiet zu bringen. Zunächst griffen sie immer wieder wahllos Menschen aus der Menge der Gegendemonstrant*innen und nahmen sie zur "Personalienfestsstellung" mit. Aber die Menge liess sich davon nicht einschüchtern und blieb vor Ort. Schließlich stoppte die Polizei eine nahegelende Straßenbahn und zwang die Passagiere nicht nur zu einer langen Wartezeit sondern auch dazu, die Fahrt zusammen mit ca. 20 Nazis fortzusetzen. Wütende Demonstrant*innen rannten noch eine kurze Strecke neben der Bahn her, was die Polizei zum Anlass nahm, weitere Festnahmen vorzunehmen.

Der Berliner Ermittlungsausschuss - eine autonome Rechtshilfe Gruppe - empfiehlt in so einer Situation, Gedächtnisprotokolle von Festnahmen zu machen und sich mit ihnen in Verbindung zu setzen, damit eventuell angeklagte Antifaschist*innen später in ihren Verfahren unterstützt werden können.

Trotz dieses unerfreulichen und leider auch typischen Verhaltens der Polizei ging die beabsichtigte Hetze der NPD in Hellersdorf am vergangenen Dienstag komplett unter.

Die vorerst letzte Frace brachte die Partei "Pro D" dann am Mittwoch: nach vollmundigen Ankündigungen kamen gerade mal 7 (!) Rassisten, um unter starkem Polizeischutz in Hellersdorf zu provozieren. Ihre Aktion verhallte im nichts...

Obwohl davon ausgegangen werden muß, dass es eine permanente Gefährdung der Geflüchteten in Hellersdorf geben kann, sind in den letzten drei Tagen ermutigende Zeichen zu sehen. Bürger*innen nehmen ersten Kontakt mit Geflüchteten auf und die anti-rassistische Dauermahnwache zwingt Behörden und Rassisten beiderseits, das Wohnheim und seine neuen Bewohner*innen zu respektieren.

Die anti-rassistische Mahnwache freut sich über Sachspenden, Essen und Getränke und natürlich über alle, die dort selbst einige Stunden oder auch die Nacht verbringen.

Für aktuelle Informationen ist ein Twitter-Ticker eingerichtet: ruft einfach #MaHe auf und lest die neuesten Meldungen.