Vogel der Woche (194): Der Schepperwaldsänger

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Dieser Beitrag erklärt uns genau, wie eigentlich die Autos auf die Bäume kommen. Und was sie da machen.
Audio
05:29 min, 6417 kB, mp3
mp3, 160 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 31.10.2011 / 10:40

Dateizugriffe: 688

Klassifizierung

Beitragsart: Hörspiel
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Umwelt, Sport, Wirtschaft/Soziales, Andere
Serie: Vogel der Woche
Entstehung

AutorInnen: hike
Radio: RUM-90,1, Marburg im www
Produktionsdatum: 31.10.2011
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Beginn Sprechtext //

Heute: Der Schepperwaldsänger. Setophaga krawalla.

Der Schepperwaldsänger ist ein Lärmvogel, der in Kanada und den östlichen USA brütet. Überwintern tut er in Südamerika und auf den Westindischen Inseln. Selten taucht er auch als Irrgast in Westeuropa auf.

Trotz seiner geringen Größe von 12 Zentimetern und seinem lächerlichen Fliegengewicht von 8,5 Gramm ist er imstande, eine erstaunliche Geräuschkulisse aufzubauen.

Nun möchte man einwenden: "Ja, das ist aber gar nichts Besonderes, erstaunlich laut zu sein schafft auch unser Zaunkönig bei einem Gewicht von 9 Gramm." Selbstverständlich verneige ich mich vor der Leistung des Zaunkönigs, der sicherlich einen der Rekorde, vielleicht sogar den Weltrekord im Kleinsein und Lautpiepsen hält. Der Schepperwaldsänger lärmt aber auf ganz andere Weise: er macht seinen Radau instumental.

Fein - und scheinbar wieder nichts Besonderes... da gibt es die Spechte, die an Dinge dranklopfen und auch instrumentalen Krach machen... nein, auch dieser Gedanke führt in die Irre und gibt nicht mal ansatzweise das Krachgeheimnis des Schepperwaldsängers wieder.

Er lebt grundsätzlich in lichten Laubwäldern, die direkt an Auto-Rennstrecken grenzen, das können sowohl Formel-Eins-Pisten sein wie auch Cross-Gelände, oder auch einfach zum Rasen beliebte öffentliche Straßen. Das ist das eine Drittel seines Geheimnisses.

Das dritte Drittel ist das Verhalten und Aussehen des Männchens. Es wirkt aus der Entfernung wie ein kleiner Formel-1-Startsignalgeber mit seinen auffälligen, leuchtend orangefarbenen Partien an Flügel, Schwanz und Flanke. Dazu kommt ein signalflaggenähnlich schwarz-weiß gemusterter Bauch und Hintern.

Das Weibchen sieht weniger spektakulär aus, trägt aber mit vollem Einsatz zur Lärmkulisse bei. Es ist eher in Tarnfarben gehüllt und hat statt orangefarbenen gelbe Partien an Flügel, Schwanz und Flanke. Es liefert das zweite Drittel zum Ganzen, indem es eine Stelle wählt, die sich gut zum Autofang eignet. Ein kleiner Wall oder eine Bodenwelle am Straßenrand ist gern gesehen. Sodann braucht es die passende Klemme. Es zupft die unteren Zweige von zwei stabilen Bäumen, die ungefähr eineinhalb Meter auseinanderstehen, kahl, und stellt dann mit gesammelten Spinnweben, Blättern, Tierhaaren, Distelflausch und anderen hellen Fundstücken zwischen den Stämmen aufgespannt die perspektivische Illusion einer langen, schnurgeraden, durch den Wald führenden, sich in der Ferne verlierenden, perfekten Raser-Traum-Piste dar. Das ganze Flechtwerk ist so breit wie der Abstand zwischen den beiden Bäumen, und auch der Boden von der Straße zu diesem Bild hin wird entsprechend dekoriert.

Das Männchen hat nach dieser Arbeit nun die Aufgabe, die Rennautos oder die Audi-Hunderts, je nach Standort, zu besorgen und auf die notwendige Geschwindigkeit zu beschleunigen. Dazu hüpft es erst rechts auf die Motorhaube des gewählten Opfers, und schlägt dann heftig mit Flügeln und Schwanz, um vor allem männliche, von sportlichem Ehrgeiz durchtoste Jungfahrer-Klientel und Führerscheinneulinge auf sich und auf das Gespinst aufmerksam zu machen. Da es so winzig ist, glauben die Fahrer, es sei sehr weit weg am Beginn dieser traumhaften Piste, und lassen schon mal den Motor aufheulen. Wenn es dann einen Kopfstand macht, um seinen karierten Hintern zu zeigen, gibt's etlichen Gummi-Qualm und Reifengequietsche, und wenn der Vogel sich wieder normal hinstellt, also "die Flagge senkt", hüpfen die Karren mit einem wirklich unglaublichen Radau in die Falle, verkeilen sich zwischen den beiden Bäumen, alle vier Räder hängen in der Luft und die Fahrt ist zu Ende, lange bevor eine gefährliche Geschwindigkeit erreicht ist; einzig der Radau geht noch ein Weilchen weiter, weil das Flechtwerk des Weibchens nun flächendeckend über der Windschutzscheibe liegt und die Fahrer weiterhin ein Weilchen narrt.

Die Fahrer können durchs heruntergekurbelte Fenster entweichen, aber ihre Autos sind heillos in den Bäumen verkeilt, und das Weibchen zimmert sofort sein Nest auf's Autodach, legt seine zwei bis fünf Eier und beginnt zu brüten, und erzählt seinen Küken anschließend, dass Autos auf Bäumen wachsen, wenn man nur geschickt genug flechten kann.

Das Männchen paart sich mit einem zweiten Weibchen, sobald das erste auf seinem Nest hockt. Allerdings kommt es immer wieder vorbei, um den Jungen zu zeigen, wie man ein Auto in den Baum reintanzt.

Daß die Autos nicht sofort nach dem Unfall wieder aus den Bäumen rausgeholt werden, liegt daran, dass es den ortsansässigen Abschleppunternehmen viel zu peinlich ist, eine winzige, kläglich piepsende Vogelmutter beim Brüten mitten auf dem Autodach zu stören.
Daher lassen sie die Karren rund zwei Monate hängen, bis die kleinen Schepperwaldsänger - für ihre Verhältnisse - groß sind, und mit ihren 8,5 Gramm und 12 Zentimetern eigene Wege fliegen.

Wundern tun sie sich allerdings schon, die ortsansässigen Abschleppunternehmen, dass jedes Jahr an der gleichen Stelle und um die gleiche Jahreszeit ein anderes Auto zwischen zwei Bäumen festhängt, auf dessen Dach ein immer gleich aussehendes Vögelchen brütet.

// Ende Sprechtext

(Geräuschkulisse hat leider nicht ganz so geklappt wie gewuenscht, weil der Rechner beim 7. Geraeusch selber in den Baum springen wollte)